Welche Auswirkungen wird die Coronakrise insgesamt auf ESG-Investments haben?
Noch lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, welchen Einfluss COVID-19 auf den ESG-Markt haben wird. Unserer Ansicht nach könnte diese Krise jedoch ein Katalysator für weiteres Wachstum sein.
Zunächst einmal hat die aktuelle Situation die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, wie gut Unternehmen geführt werden, von der Notfallplanung bis hin zur Belastbarkeit der Einnahmequellen. Immer mehr Anleger (und Nicht-Anleger) hinterfragen nun die Nachhaltigkeit von Geschäftsmodellen und sehen einen Zusammenhang zwischen besserer Governance und langfristiger Performance.
In der allmählichen Erholung der Weltwirtschaft könnte unserer Meinung nach der „S“- oder soziale Aspekt in „ESG“ verstärkt zum Tragen kommen, mit Schwerpunkt auf der Schaffung eines nachhaltigeren Modells für die Zukunft. Dabei dürften Emittenten und Regierungen, die im Umgang mit der Krise ein schlechtes Bild abgaben, verstärkt unter Druck geraten und solche, die die Situation erfolgreich meistern konnten, für Anleger attraktiver werden.
Eine entsprechende Entwicklung war bereits bei den Kapitalflüssen zu beobachten. Die ESG-Fonds in Europa haben sich während der Krise bemerkenswert gut gehalten. Als Anleger im März hastig den Aktienanteil ihrer Portfolios reduzierten, taten sie dies vorwiegend durch den Abverkauf traditioneller breit angelegter Indexfonds – die in der Regel nach Marktkapitalisierung und nicht nach ESG-Ratings gewichtet sind – während sie ihre ESG-Positionen unverändert ließen oder sogar aufstockten. Dies ist insofern sinnvoll, da ESG-Positionen im Gegensatz zu anderen Aktienpositionen aufgrund der langfristigen Ausrichtung eines nachhaltigen Anlageansatzes in der Regel zum stabileren Teil des Portfolios gehören.
Kumuliertes Nettomittelaufkommen bei ESG- und Nicht-ESG-ETFs in Europa seit Jahresbeginn (in Mio. Euro)

Quelle: Lyxor International Asset Management, Stand: 16.07.2020.
Zudem hatten sich manche Investoren vielleicht bereits für eine Erhöhung ihres ESG-Anteils entschieden, aber noch in einer abwartenden Haltung verharrt. Diese könnten angesichts der jüngsten Kapitalabflüsse aus dem Aktienmarkt nun mehr Kapital zur Verfügung haben, um es in den nächsten Monaten und Jahren wieder anzulegen. Nach dieser Entwicklung sehen Anleger Anlagerisiken, denen ESG-Fonds Rechnung tragen, nun vielleicht mit anderen Augen. Unserer Auffassung nach könnte dies zu einer langfristigen Reallokation von Kapital und weiterem Wachstum am ESG-Markt führen.
Wird sich durch COVID-19 der Schwerpunkt bei den drei ESG-Säulen verschieben?
Sehr wahrscheinlich. Die Coronakrise war bereits eine beispiellose Belastungsprobe für die soziale Verantwortung von Unternehmen. Weiter oben habe ich davon gesprochen, dass das „S“ in „ESG“ verstärkt zum Tragen kommen könnte. Damit meine ich die „soziale Wertschöpfungskette“ vom Schutz der Mitarbeiter über die Unterstützung von Kunden bis hin zu Supply-Chain-Management und Datenschutz.
Vor dem Hintergrund zunehmender gesellschaftlicher Kontroversen aufgrund der Coronakrise, die die Geschäftsentwicklung und Reputation von Unternehmen beeinträchtigen, lässt sich tatsächlich ein verstärkter Fokus auf dieses Thema beobachten: Man denke nur an all die Nachrichten über unzureichende Schutzausrüstung für Mitarbeiter in verschiedenen Branchen, unzulängliche Richtlinien oder Prozesse für den Schutz von Kunden, irreführende oder falsche Informationen über die Pandemie, Fragen zu Datenmanagement und Datenschutz etc.
Seit Beginn der Krise hat es mehrere sozial ausgerichtete Initiativen gegeben, z. B. das von Domini Impact Investments, dem Interfaith Centre on Corporate Responsibility und dem New York City Comptroller’s Office initiierte Investor Statement.1 Mit dieser Erklärung werden Unternehmen dazu aufgerufen, den Arbeitnehmern mit bezahltem Urlaub, Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen und Beschäftigungsgarantien zu helfen. Ihre Unterzeichner repräsentieren ein verwaltetes Vermögen von über 9,2 Bio. US-Dollar.1 Im Rahmen der Prinzipien für verantwortungsbewusstes Investieren der Vereinten Nationen (UN PRI) wurde ein spezieller Workshop mit Investoren eingerichtet.2 Die European Leverage Finance Association (ELFA) hat für den Dialog zwischen Investoren und Unternehmensleitung in dieser Phase eine Reihe von Richtlinien für Best Practices in der Berichterstattung entwickelt.3 Wir gehen davon aus, dass es weitere Initiativen dieser Art geben wird.
Wo liegen die größten Herausforderungen für sozial verantwortliche Investments?
Die erste Herausforderung in Bezug auf effektive sozial verantwortliche Investments sind qualitativ hochwertige ESG- und Klimadaten. Lyxor ist dazu Partnerschaften mit einigen der renommiertesten Datenanbieter (z. B. MSCI, Climate Bonds Initiative, Sustainalytics) eingegangen, und wir profitieren von unserer Erfahrung im Bereich Financial Engineering, um die Daten professionell zu verarbeiten. So sind wir in der Lage, hochmoderne Systeme zur Verfügung zu stellen, die Investoren dabei helfen, ihre Portfolios im Hinblick auf ESG- und Klimarisiken zu bewerten.
Neben dem Datenaspekt wird die zweite große Herausforderung, insbesondere im Hinblick auf die neuen EU-Vorschriften4, die branchenweite Offenlegung der "Portfolio-Temperatur" ab dem Jahr 2020 sein. In Zukunft wird es möglich sein, die impliziten Temperaturanstiegsszenarien für alle bedeutenden Referenzindizes (z. B. CAC 40, Euro STOXX 50, S&P 500, MSCI Europe etc.) zu berechnen und unmittelbar zu erfassen, ob ein Portfolio oder eine Benchmark mit den Zielen des Pariser Abkommens in Einklang steht.5
Trotz dieser konzeptionell sehr komplexen Methode wird die Ausweisung eines Thermometers für ein Anlageportfolio ein ganz einfach zu verstehendes Instrument sein und unserer Meinung nach de facto eine Richtschnur für künftige Investoren werden.
Die böse Überraschung für Marktteilnehmer wird sein, dass sich für alle wichtigen Aktienindizes derzeit ein Temperaturanstieg von 4 bis 5 Grad ergibt und sich damit nach allen wissenschaftlichen Erkenntnissen ein Katastrophenszenario abzeichnet. Das Portfoliothermometer wird wichtige Aufschlüsse über die Ausrichtung von Portfolios auf eine kohlenstoffarme Zukunft geben und ist unserer Meinung nach für Akteure am Finanzmarkt die effektivste Strategie zur Steuerung der Übergangsrisiken. Außerdem stellt es eine wichtige Anlagestrategie zur mittelfristigen Maximierung der Rentabilität von Portfolios bei einem gegebenen Risikoniveau dar.
Wie können ESG-Investoren von einem passiven Ansatz profitieren?
Ein passiver ESG-Ansatz bietet viele Vorteile. Erstens können Indizes – wie bereits erwähnt – dank besserer Datenqualität heutzutage so aufgebaut werden, dass sie allen möglichen Arten von Klima- und ESG-Richtlinien Rechnung tragen, um sie dann Anlegern zu geringen Kosten zugänglich zu machen. Eine der Innovationen in diesem Bereich sind selektive Screenings, die beispielsweise Unternehmen identifizieren, die große Mengen an Kohle verbrauchen oder fördern.
Berücksichtigt werden auch konkrete Kriterien wie Geschlechtergleichheit, eine Titelauswahl auf der Grundlage von Carbon Ratings oder die Ausrichtung an den UN-Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals – SDGs).
Insgesamt bedeuten qualitativ hochwertige Daten auch qualitativ hochwertigere Indizes und damit mehr Möglichkeiten, mit einem indexbasierten Ansatz auf transparente, kostengünstige und regelbasierte Weise in ESG-Indizes zu investieren. All dies sind wichtige Faktoren für Anleger, die über einen längeren Zeitraum eine nachhaltige Wertentwicklung erzielen möchten.
Zweitens sind passive Anlageinstrumente äußerst transparent. Wir informieren unsere Anleger über unsere Methode zur Analyse der CO2-Bilanz und der ESG-Parameter unserer ETFs, sodass sie den CO2-Fußabdruck des Portfolios überwachen und messen können. Dabei stellen wir folgende Informationen zur Verfügung: die Bewertung von Unternehmen nach ESG-Ratings, ihr Exposure in Bezug auf positive und negative Ratingtrends, ihre Geschäftsaktivitäten, das Portfolioexposure in Bezug auf ESG-Kontroversen, UN Global Compact-Kontroversen und Transitionsrisiken, Carbon Risk Management, das Exposure in Bezug auf Emittenten, die Umweltlösungen anbieten, sowie den Ertragsanteil in Bezug auf Umweltlösungen mit SDG-Relevanz.
All diese Informationen sind über die Produktseiten unserer Website leicht zugänglich, sodass jeder Anleger diese wichtigen Informationen schnell zur Hand hat. ETFs und Indexfonds sind zudem in börsennotierte Titel investiert. Da börsennotierte Anlagen im Vergleich zu nichtbörsennotierten Unternehmen liquider sind, kann ein Indexanleger größere Kapitalbeträge mobilisieren und für seine Ziele einsetzen.
Und schließlich nutzen erfahrene passive Fondsverwalter ähnlich wie aktive Fondsmanager de facto aktiv ihre Stimmrechte. Die Abstimmungspolitik und eine Dokumentation des bisherigen Abstimmungsverhaltens sind öffentlich zugänglich, und der Portfoliomanager ist den Anlegern gegenüber rechenschaftspflichtig. In unserem Fall sieht unsere Shareholder Engagement-Politik einen direkten Dialog mit Unternehmen vor, um Erwartungen zu kommunizieren, etwa wenn es um Aspekte der Unternehmensführung geht. Dies zeigt, dass es möglich ist, nachhaltige Geschäftspraktiken mit Indexanlagen zu forcieren – wenn es sich dabei um Investments bei einem verantwortungsbewussten „aktiven“ passiven Portfoliomanager handelt.
Wo sehen Sie ESG-ETFs in fünf Jahren?
Unserer Ansicht nach ist das wachsende Interesse an ESG-ETFs kein Trend, sondern ein grundlegender Wandel. Für uns stellt sich lediglich die Frage, wie schnell sich dieser Wandel vollziehen wird. In Europa machen ESG-ETFs nach wie vor weniger als 5% aller in ETFs investierten Gelder aus – im vergangenen Jahr vereinten sie jedoch fast 17% der Nettozuflüsse auf sich.6 Das Jahr 2020 verlief bislang wesentlich volatiler, aber ESG-basierte Anlagen sind weiterhin das einzige Aktienmarktsegment mit positiven Zuflüssen und machen über 20% aller Zuflüsse bei festverzinslichen Wertpapieren aus.6
ESG-ETFs haben sich im März, auf dem Höhepunkt der Coronakrise, als äußerst widerstandsfähig erwiesen und wurden auch nicht in Mitleidenschaft gezogen, als die weltweiten Kapitalmärkte von einer dramatischen Verkaufswelle erfasst wurde. Übergreifend hat die Krise die Entscheidung der Anleger für eine Umschichtung in ESG-Anlagen bestätigt, da die meisten ESG-ETFs in diesem Zeitraum eine deutliche Outperformance erzielt haben.6 Diese Outperformance könnte das ESG-Segment für neue Anleger attraktiv machen, was den Transformationsprozess unserer Meinung nach beschleunigen könnte.
Mit Blick auf die nächsten Jahre könnten mehrere Faktoren zu einer breit angelegten Umstellung auf ESG-ETFs beitragen: erstens die wachsende Überzeugung, dass der indexbasierte Ansatz nicht nur mit nachhaltigem Investieren vereinbar ist, sondern sehr gut daran angepasst werden kann; zweitens die Vielfalt an Indizes, die alle möglichen Anlagephilosophien und die unterschiedlichsten Grade an ESG-Intensität im Hinblick auf Diversifizierungs- und Tracking Error-Ziele abdecken; und schließlich die Entstehung neuer Segmente wie Klimawandel-ETFs, deren Bedeutung die anstehende europäische Klima-Benchmark-Verordnung unterstreicht.4
Unter Berücksichtigung all dieser Entwicklungen dürften ESG-ETFs in fünf Jahren mindestens im Bereich von 20% des Gesamtvermögens liegen und damit ihren aktuellen Marktanteil mehr als vervierfachen.
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